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Emotionale Bindung in Unternehmen: Unterschätzter Schlüssel zum Erfolg

3. Juni 2024

«To handle yourself, use your head; to handle others, use your heart.»
Eleanor Roosevelt

Stellen Sie sich vor, in einem Unternehmen werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zwar regelmässig über neue Ziele und Strategien informiert, jedoch selten nach ihrer Meinung oder nach ihren eigenen Zielen gefragt. Die Unternehmenswerte sind in einem Leitbild festgehalten, das im Intranet aufgeschaltet ist und in den Pausenräumen aushängt. Es wurde vor Jahren von der Geschäftsführung und einer Unternehmensberatung entwickelt. Einer dieser Werte lautet: «Partizipation: Wir fördern ein Umfeld, in dem jede Idee gehört wird und gemeinsam Entscheidungen getroffen werden. Dein Beitrag macht den Unterschied.» Die Theorie und die erlebbare Praxis in Bezug auf Partizipation liegen in diesem Unternehmen weit auseinander. Die Fluktuation im Unternehmen liegt über dem Branchendurchschnitt und es herrscht ein latentes Gefühl der Unzufriedenheit in der Belegschaft. Wie könnten die Situation verbessert werden? Einer der Schlüssel könnte die Stärkung der emotionalen Mitarbeiterbindung sein.

Emotionale Mitarbeiterbindung, auch als affektive Bindung bezeichnet, beschreibt die tiefe, emotionale Verbindung und Identifikation der Mitarbeitenden mit ihrem Arbeitgeber. Sie geht über die rein vertragliche Beziehung hinaus und umfasst das Gefühl der Zugehörigkeit, Loyalität und des Engagements für die Ziele und Werte des Unternehmens. Diese Art der Bindung ist durch starke emotionale Investitionen gekennzeichnet, bei denen Mitarbeitende positive Emotionen wie Stolz und Zufriedenheit in Bezug auf ihre Arbeit und das Unternehmen empfinden. «Ein entscheidendes Kennzeichen der emotionalen Bindungsebene […] ist ein hoher Grad an Übereinstimmung der Werte und Ziele unter den beiden Bindungsbeteiligten. Es ist anzunehmen, dass das Erkennen von gemeinsamen Werten und Zielen eine wichtige Ursache für das Entstehen von emotionaler Mitarbeiterbindung darstellt.» (Wolf, G.: Mitarbeiterbindung. 2020)

Laut Meyer und Allen's Drei-Komponenten-Modell der organisationalen Bindung (1991) umfasst die emotionale Bindung drei Dimensionen:

  1. Affektive Bindung (Affective Commitment): Dies ist die emotionale Bindung des Mitarbeitenden an die Organisation, basierend auf einem hohen Mass an Identifikation und Engagement.

  2. Fortsetzungsbindung (Continuance Commitment): Diese basiert auf den wahrgenommenen Kosten, die mit dem Verlassen der Organisation verbunden sind.

  3. Normative Bindung (Normative Commitment): Diese ergibt sich aus einem Gefühl der Verpflichtung oder moralischen Verantwortung gegenüber der Organisation.

Die affektive Bindung ist besonders wichtig, da sie direkt mit positiven Verhaltensweisen am Arbeitsplatz verbunden ist, wie höherer Leistung, geringerem Fehlverhalten und einer stärkeren Bereitschaft zur Teilnahme an freiwilligen Aufgaben und Initiativen.

Besorgniserregende Zahlen

Die emotionale Bindung beeinflusst nicht nur die Produktivität und Zufriedenheit der Mitarbeitenden, sondern auch die Kundenbindung und letztlich den Geschäftserfolg. Laut der Gallup-Studie 2023 zeigt sich, dass ein Grossteil der Mitarbeitenden in Deutschland, der Schweiz und Österreich nicht emotional an ihr Unternehmen gebunden ist.

Diese Zahlen verdeutlichen die dringende Notwendigkeit, sich mit der Thematik auseinander zu setzten und Massnahmen zur Förderung der emotionalen Bindung zu ergreifen.

Basis emotionaler Mitarbeiterbindung

Emotionale Bindung entsteht oft durch gemeinsame Einstellungen, Grundhaltungen, Ansichten, Werte und Ziele. Ein hoher Grad an Übereinstimmung der Werte und Ziele zwischen Mitarbeitern und Unternehmen kann eine starke emotionale Bindung erzeugen. Diese Übereinstimmung führt zu einem höheren Mass an Engagement und Leistungsbereitschaft sowie über den Wunsch, die Beziehung zum Unternehmen langfristig aufrecht zu erhalten, zu einer geringen Fluktuationsneigung.

Enormer Einfluss von Führungskräften

Die Gallup-Studie 2023 betont die entscheidende Rolle der Führungskräfte bei der Mitarbeiterbindung. Führungskräfte haben erheblichen Einfluss auf die Mitarbeiterzufriedenheit und -bindung, insbesondere durch effektive Kommunikation, Feedback und Einbindung in Entscheidungsprozesse. Laut Gallup sind Mitarbeitende, die das Gefühl haben, dass ihre Vorgesetzten sie bei der Zielsetzung einbeziehen, 3,6-mal eher engagiert. Gute Führungskräfte fördern zudem eine Kultur des Vertrauens und der Transparenz, was die Mitarbeiterbindung stärkt​. Darüber hinaus zeigt die Studie, dass Unternehmen mit engagierten Führungskräften eine höhere Produktivität und geringere Fluktuationsraten aufweisen. Ungünstige Führung hingegen führt oft zu Unzufriedenheit und höherem Stress, was wiederum die Fluktuationsrate erhöht​.

Wie können Führungskräfte und HR-Business-Partner zur emotionalen Bindung beitragen?

  1. Werte-Abgleich: Tauschen Sie als Führungskraft Ihre eigenen Werte mit denen der Mitarbeitenden aus. Zeigen Sie dabei Übereinstimmungen mit den eigenen, mit denen der Kolleginnen und Kollege und mit denen des Unternehmens auf. Denn auf der operativen Ebene geraten Mitarbeitende häufig in eine Werteunsicherheit, die nicht nur ihre Leistungsentfaltung hemmen, sondern auch ihre emotionale Mitarbeiterbindung in Mitleidenschaft ziehen. Beispiel: Was ist "vom Chef gewünscht"? Fehlerfreiheit oder Schnelligkeit bei der Aufgabenerledigung? Jeder weiss aus der Erfahrung, dass die Sorgfalt unter der Geschwindigkeit leidet und umgekehrt. Es hilft enorm, wenn die Führungskraft hier Klarheit schafft und einen Wertekonsens herbeiführt.

  2. Gemeinsame Zielvereinbarungen: In 1:1-Gesprächen Leistungs- und Entwicklungsziele gemeinsam festlegen und regelmässig überprüfen respektive anpassen. Leider werden in Bezug auf Ziele von manchen Unternehmen etliche Chancen vertan: Mit vielen Mitarbeitenden wird nicht über Ziele gesprochen - weder über Karriereziele noch über Leistungsziele. In die Zielvereinbarung können und sollten auch Ziele der Mitarbeitenden selbst einfliessen, ebenso bei den Massnahmen zur Umsetzung.

  3. Wahrnehmung, Wertschätzung und Anerkennung: Beobachten, differenziertes Feedback und Anerkennen von Leistungen, Engagement oder besonderen Beiträgen steigern die Motivation. Sorgen Sie dafür, dass Mitarbeitende sich «gesehen fühlen».

  4. Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen: Weiterbildung und berufliche Entwicklung bieten Mitarbeitenden eine Perspektive und zeigen, dass sie langfristig wertgeschätzt werden.

  5. Zukunftsorientiertes Arbeiten: Hybrid- und Remote-Arbeitsmodelle können die Zufriedenheit und Bindung steigern, ebenso der Zugang zu neuer Technologie, wie z.B. KI, die uns die Arbeit erleichtern und hierdurch mehr Raum für menschlichen Austausch ermöglichen.

  6. Positive Führungskultur etablieren: Führungskräfte sollten als echte Vorbilder agieren und eine Kultur der Unterstützung und Kooperation fördern. Hierbei zählt Authentizität: Entscheidend ist, was Mitarbeitende tagtäglich spüren. Welcher Geist weht durch die Flure?

Wie können Mitarbeitende zur emotionalen Bindung beitragen?

Doch auch Mitarbeitende selbst spielen eine zentrale Rolle bei der emotionalen Bindung, indem sie aktiv zur Unternehmenskultur und zu ihrem eigenen Engagement beitragen. Laut der Gallup-Studie 2023 ist es wichtig, dass Mitarbeitende selbst Verantwortung für ihre berufliche Entwicklung übernehmen und proaktiv an Feedbackgesprächen teilnehmen. Dies hilft ihnen, sich stärker mit den Zielen des Unternehmens zu identifizieren und ihre eigene Karriere voranzutreiben​. Zudem können Mitarbeitende durch eine offene Kommunikation und das Einbringen von Ideen und Verbesserungsvorschlägen zu einer positiven Arbeitsumgebung beitragen. Engagement und Eigeninitiative sind Schlüsselkomponenten, die nicht nur die individuelle Zufriedenheit steigern, sondern auch das gesamte Team motivieren und die Unternehmensbindung stärken​. Was Mitarbeitende sonst noch konkret tun können:

  1. Proaktive Kommunikation: Mitarbeitende sollten aktiv Feedback einholen und ihre Bedürfnisse klar kommunizieren.

  2. Eigeninitiative und Verantwortung: Durch Eigeninitiative und das Übernehmen von Verantwortung können Mitarbeitende ihre Rolle aktiv mitgestalten.

  3. Netzwerken und Beziehungen aufbauen: Gute Beziehungen zu Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzten tragen wesentlich zur emotionalen Bindung bei.

  4. Selbstreflexion und Weiterentwicklung: Regelmässige Reflexion und Weiterbildung stärken das Selbstbewusstsein und die Motivation.

Praxisbeispiel: Werte-Entwicklung in einem Unternehmen

Ein herausragendes Beispiel für die erfolgreiche Stärkung der emotionalen Mitarbeiterbindung durch Werteentwicklung war ein mehrstufiger Prozess in einem bekannten deutschen Familienunternehmen, an dem ich mitgewirkt habe. In diesem Prozess wurden sämtliche Mitarbeitenden aller Hierarchieebenen und Funktionen mittels verschiedener Formate in die Entwicklung der Unternehmenswerte einbezogen. Die aus dieser Arbeit kondensierten Werte wurden grafisch treffend umgesetzt und in eine verständliche Sprache inkl. Umsetzungsbeispielen für die jeweilige Praxis übersetzt. Die fünf Unternehmenswerte werden heute von allen Mitarbeitenden gekannt, vielseitig gelebt und sind ein wichtiger Identifikationsfaktor geworden. Solch eine authentische und gelebte Wertebasis trägt massgeblich zur Stärkung der emotionalen Bindung und zur Aufrechterhaltung des Engagements der Mitarbeitenden bei. Wenn Sie mehr über dieses Praxisbeispiel erfahren möchten, kontaktieren Sie mich bitte.

Fazit

Die Förderung der emotionalen Bindung von Mitarbeitern ist eine gemeinsame Aufgabe von Führungskräften und Mitarbeitern. Sie erfordert Transparenz, Wertschätzung, Entwicklungsmöglichkeiten und eine unterstützende Führungskultur. Gleichzeitig sollten Mitarbeiter proaktiv ihre Rolle gestalten und Beziehungen pflegen. Das Schöne an emotionaler Bindung ist, dass wir in diesem Bereich alle viel Erfahrung mitbringen: aus dem Privatleben. Wenn Sie sich also einmal im Hinblick auf die Anwendbarkeit einer Mitarbeiterbindungsmassnahme oder deren Gestaltung unsicher sind: Wagen Sie den Vergleich mit Ihren Erfahrungen aus dem Privatbereich. Dann werden Sie die richtige Entscheidung treffen.

 Foto: www.unsplash.com