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Ermutigung: Wirksame Förderung der Veränderungsbereitschaft

3. April 2024

«Studiere die Menschen, nicht, um sie zu überlisten und auszubeuten, sondern um das Gute in ihnen aufzuwecken und in Bewegung zu setzen.» Gottfried Keller

Die Kunst der Ermutigung ist wohl die wichtigste Führungsfähigkeit überhaupt. Nicht nur viele Menschen, sondern auch ganze Unternehmen kranken heute an Mutlosigkeit, und diese Mutlosigkeit (oder Entmutigung) zieht vielfältige Folgeprobleme nach sich, von Passivität und Lethargie über ständiges Meckern, Quengeln und Schuldzuweisungen bis hin zu Absicherungsmentalität und mangelnder Veränderungsbereitschaft. Wer es schafft, einem Menschen oder einem Team Mut zu machen, hilft ihm, über seine bisherigen Grenzen hinauszuwachsen; wer es schafft, ein Unternehmen zu ermutigen, eröffnet ihm neue Perspektiven.

Abgrenzung Ermutigung – Lob und Anerkennung

Ermutigung kann leicht mit Lob und Anerkennung verwechselt werden. Zwar ist die gemeinsame Zielsetzung beider, die Aufmerksamkeit auf positive Aspekte zu lenken. Der entscheidende Unterschied liegt jedoch darin, dass Ermutigung nicht auf bereits erreichte Erfolge zielt, sondern auf künftige Erfolge. Ermutigung gibt Anstösse zum Handeln, indem sie zum Beispiel zum Überwinden persönlicher Hemmschwellen anregt, zur Beharrlichkeit bei Schwierigkeiten ermuntert und so Wachstum und Weiterentwicklung fördert. Lob und Anerkennung beziehen sich auf bereits vollbrachte Leistungen (und sind damit vergangenheitsorientiert); Ermutigung richtet sich auf den nächsten Schritt, auf die Anstrengung, auf das Bemühen (und ist damit zukunftsorientiert). 

Der Kern der Ermutigung

Ein ermutigender Schubs ist dort besonders wichtig, wo sich der Erfolg noch nicht eingestellt hat und die Zweifel wachsen, ob er jemals zu erreichen sein wird – also dann, wenn wir zu denken beginnen: "Ich kriege das nicht hin". Ermutigung setzt dort an, wo Verzagtheit eingesetzt hat; sie gibt den Anstoss, nicht aufzugeben, sondern die Durststrecke durchzustehen. Ermutigung fordert dazu auf, trotz Rückschlägen an einer Aufgabe "dranzubleiben", Schwierigkeiten zu überwinden und sich bereits aufgegebenen Herausforderungen neu zu stellen. Damit gibt sie nicht selten den Ausschlag, ob Schwierigkeiten und die aufkommende Resignation doch noch überwunden werden oder ob jemand aufgibt und das Gefühl hat, versagt zu haben.

«So wie ich bin, bin ich gut genug!»

Ermutigung ist nicht in erster Linie eine Technik, sondern eine Haltung – eine Haltung zu anderen Menschen, aber auch zu sich selbst. Denn nur wer sich selbst akzeptiert und wohlwollend mit sich selbst umgeht, kann andere ermutigen. Ein guter Ausgangspunkt dafür ist Theo Schoenakers Merksatz: "So wie ich bin, bin ich gut genug!" Das heisst nicht, dass ich perfekt bin; es heisst nicht, dass ich frei von Fehlern bin; es heisst nicht, dass ich mich nicht mehr verbessern kann oder brauche – es heisst lediglich, dass ich, so wie ich bin, in Ordnung bin und mich nicht ständig selbst kritisieren, in Frage stellen oder an mir herumnörgeln muss. Sich selbst akzeptieren nicht unter Ausblendung seiner Schwächen, Unzulänglichkeiten und Fehler, sondern unter deren Einbeziehung. Wir müssen nicht perfekt sein, um einen Platz in der Gemeinschaft zu verdienen – wir haben ihn, einfach, weil es uns gibt. 

Ein ermutigendes Klima schaffen

Wer sich selbst annehmen und ermutigen kann, erfüllt die wichtigste Voraussetzung dafür, andere zu ermutigen. Denn wie bei der Selbstermutigung, so gilt auch hier die eiserne Regel: Akzeptanz ist die Basis jeder Ermutigung. Jemanden, den wir nicht akzeptieren, über den wir verärgert, enttäuscht oder zutiefst unzufrieden sind, den können wir auch nicht ermutigen – jedenfalls nicht, solange diese Gedanken und Gefühle in uns vorherrschen. Deshalb beginnt Ermutigung damit, wie wir andere Menschen wahrnehmen und wie wir über sie denken. Hier geht es nicht darum, problematische oder negative Aspekte zu ignorieren, sondern nur darum, sie nicht so ausschließlich in den Mittelpunkt zu stellen.

Ein ermutigendes Klima wird erzeugt, indem man die Menschen so akzeptiert und respektiert, wie sie sind – statt so, wie sie nach der eigenen Meinung sein sollten oder müssten. Denn nur wenn die Gesprächspartner sich angenommen und respektiert fühlen, können sie sich gemeinsam voll auf die Sache konzentrieren. Akzeptanz und Respekt sind zunächst einmal eine Frage der inneren Haltung, aber sie äussern sich im Verhalten (in Anlehnung an Schoenaker, S. 111):

Ob das Klima ermutigend ist, zeigt sich daran, ob die Gesprächsteilnehmer offen und sachorientiert miteinander diskutieren können, ohne sich rechtfertigen, verteidigen oder beweisen zu müssen, aber auch ohne über abwesende Dritte herzuziehen.

Ermutigende Führung

Der Anstoss, an einer schwierigen Aufgabe dranzubleiben oder auf einem schon aufgegebenen Gebiet einen neuen Versuch zu wagen, ist direkte Ermutigung. Sie setzt ein ermutigendes Grundklima voraus: Solange es an der wechselseitigen Akzeptanz fehlt, kann man auch nicht ermutigen. Darüber hinaus erfordert direkte Ermutigung ein Stück Empathie, denn ein ermutigender Impuls wirkt dann am stärksten, wenn die Entscheidung auf der Kippe steht, das heißt, wenn der Adressat gerade im Begriff ist, die Flinte ins Korn zu werfen – oder umgekehrt, gerade darüber nachdenkt, einen neuen Anlauf zu machen, sich aber noch nicht so recht traut. Wenn er andere sich innerlich schon festgelegt hat, bewirkt Ermutigung nichts mehr, sondern löst allenfalls halbherzige oder unwillige Reaktionen aus. Das heisst aber, was der richtige Moment für Ermutigung ist, bemisst sich nicht daran, wann ich finde, dass der andere etwas tun sollte, sondern daran, wann bei ihm die Bereitschaft dazu da ist.

Denn genau genommen kommt Ermutigung nicht dadurch zustande, dass wir etwas sagen, was ermutigend ist oder sein soll, sondern erst dadurch, dass der andere den ermutigenden Gedanken annimmt und sich zueigen macht. Mit anderen Worten, eine Ermutigung hat erst stattgefunden, wenn er sich innerlich sagt: "Also gut, wenn mein Chef (oder mein Kollege) mir das zutraut, dann will ich es mal versuchen!" Solange er dazu nicht bereit oder in der Lage ist, gehen alle Versuche der Ermutigung ins Leere. Es hätte deshalb überhaupt keinen Sinn, Ermutigung ungeduldig forcieren zu wollen: Ermutigung eignet sich weder als Instrument zum Antreiben noch als Manipulationstechnik.

Ermutigen kann auch Fordern bedeuten 

Wer Entwicklungen beschleunigen will, sollte besser zu einem anderen Führungsinstrument greifen, das sich mit der Ermutigung sehr gut verträgt, auch wenn es an einer ganz anderen Stelle ansetzt: Fordern. Jede Gemeinschaft, jedes Team hat das gute Recht, von ihren Mitgliedern einen Beitrag zu ihrer Lebensfähigkeit und ihrem Erfolg zu verlangen. Das gilt keineswegs nur für Wirtschaftsunternehmen, aber auch und erst recht für sie. Reife, professionelle Menschen leisten diesen Beitrag ungefragt von sich aus. Unreife oder verwöhnte Menschen, die die notwendige Professionalität noch nicht entwickelt haben, tun dies oft erst, wenn es ihnen ausdrücklich abverlangt wird. Oder sie versuchen, mit geringstmöglicher Anstrengung – oder mit genialischen Einzelleistungen – durchzukommen. Sie darf und muss man als Vorgesetzter, aber auch als Kollege fordern, das heisst, man darf und muss ihnen einen angemessenen Beitrag abverlangen. Letztlich enthält auch dieses Fordern eine Ermutigung, denn eine Forderung an jemanden zu stellen, enthält ja das stillschweigende Feedback, dass der Betreffende dies leisten kann und dass sein Beitrag erwünscht ist.

 Quelle: Schoenaker, Theo (2002): Mut tut gut

 Foto: www.unsplash.com